„Blogger, plagt euch!“ – Herr Schneider im Irrtum

Inhaltsverzeichnis

 

1. Vorwort Inhalt

Das Interview mit Herrn Schneider in der Zeit („Blogger, plagt Euch!“) vom 05. Mai 2010 hält einige Überraschungen bereit. Herr Schneider wirft deutschen Autorinnen und Autoren mangelndes „etwas-zu-sagen-haben“ und zu wenig Kenntnisse der deutschen Sprache vor, das bei potentiellen Lesern Desinteresse beim Lesen auslöse. Hoffentlich habe ich das richtig verstanden.

Ich kann dem nicht zustimmen und denke sogar, Herrn Schneider argumentativ widerlegen zu können. Vorab möchte ich noch anmerken, dass ich sein Buch gelesen habe und auch dort nicht viel Anregung finden konnte. Eine Beschreibung der Stilmittel der deutschen Sprache sollte man in der Oberstufe des Gymnasiums im Fach „Deutsch“ bereits gelernt haben.

Jemand, der kein Gymnasium besucht hat, oder den das nicht interessierte damals, wird auch mit einiger Wahrscheinlichkeit keinen Blog betreiben oder sich sonst irgendwie journalistisch engagieren.

2. Sprache – Zweck und Funktion Inhalt

Beginnen wir einmal laienhaft, Sinn, Zweck und Funktion von Sprache zu erarbeiten. Ganz ohne Studium der Sprach- oder Geisteswissenschaften wage ich zu behaupten, dass der primäre Zweck die Übermittlung von Information ist.

Der Kanal (Akustisch, Optisch) oder das Medium (Druck, Fernsehen, Tonband und andere) spielen dafür keine größere Rolle, schränken eben nur ein, wieviel Information pro Zeiteinheit übermittelt werden kann.

Der Nachrichtentechniker nennt das „Kanalkapazität“.  Ist eigentlich recht einleuchtend: Im Fernsehen mit Bild und Ton erhalte ich sehr viel mehr Information über ein Geschehen, als wenn ich einen reinen Text darüber lese. Beim Text muss das Gehirn sehr viel mehr arbeiten zur Informationsgewinnung als wenn es den gleichen Inhalt als Bild vorgesetzt bekommt. Daher auch das Sprichwort „Ein Bild sagt mehr als tausend Worte“.

3. Sprache und ihre Bestandteile Inhalt

Weiter im Top-Down-Ansatz:  Offensichtlich scheint es viele unterschiedliche Ausprägungen von Sprache zu geben. Da sei im Bereich „Druck“ die trockene Bedienungsanleitung für einen DVD-Player genannt, vielleicht das bebilderte Kinderbuch, den letzten Harry-Potter-Roman können wir anführen, genauso wie Boulevardblätter oder Illustrierte.

Erweitert man den Bereich auf Audiovisuelle Medien, so erscheint es mir nicht mehr sinnvoll, alle möglichen Formate aller Produktionen aufzulisten. Nachrichtensendungen, Abenteuerfilme, Dokumentationen, „Richter Barbara“ und Derivate, sie alle füllen die Programme von Rundfunk und Fernsehen tagein und tagaus; wenig Gemeinsamkeiten existieren; eine davon ist wichtig.

Alle genannten Formate und Erzeugnisse benutzen Sprache, um eine bestimmte Information an den Konsumenten („Leser“, „Zuhörer“, „Zuschauer“) zu übermitteln. Der Unterschied ist dann auch weniger die Information an sich („Vulkanausbruch“), sondern die Komplexität der verwendeten Sprache.

Wir haben das alle schon erlebt; die Schlagzeilen und die Thematik einer Boulevard-Zeitung springen uns förmlich ins Auge, in Sekunden(bruchteilen) haben wir erfasst, worum es im Artikel geht. Im Gegensatz dazu müssen wir einen Roman oder einen alten literarischen Text möglicherweise sogar mehrmals lesen, bevor wir seinen Inhalt und eventuell seine Bedeutung verstehen. Stark hängt diese Eigenschaft mit der Notwendigkeit zur Abstraktion zusammen.

4. Herrn Schneiders Buch Inhalt

Nun, ich möchte mich hier nicht in einer inhaltlichen Zusammenfassung ergehen. Neben ausführlichen Beschreibungen von Stilmitteln der deutschen Sprache versucht Herr Schneider, potentiellen Autoren Tips zum interessanten Schreiben zu geben; etwa, welche Worte wie zu setzen sind, damit beim Lesen beide Hirnhälften etwas zu tun haben. Es gibt noch manche andere Aspekte, der geneigte Leser möge sich der Fairness halber das Buch aber selbst kaufen und zu Gemüte führen.

Ich vermisse einen Aspekt schmerzlich. Herr Schneider geht nicht auf den hier erarbeiteten Punkt ein, dass Sprache immer vom intendierten Zweck (=der Art der zu übermittelnden Information) abhängen muss.

Würde ich als Autor z.B. eine Bauanleitung schreiben/bloggen wollen, so interessierte meine Leser vermutlich nicht, dass ich „aus dem ziemlich nahe gelegenen Baumarkt sehr schön duftende und glatt gehobelte Rundhölzer mit glänzenden und leichten Schrauben an der Decke befestigt habe“. Eher würde ich mir vorstellen, dass „aus dem Baumarkt 2 Rundhölzer zu je 4cm Durchmesser nebst 10 6x80er Torx-Schrauben zu besorgen sind, um einen sicheren Halt an der Decke zu gewährleisten“.

Ich würde deswegen soweit gehen zu werten, dass Herrn Schneiders Buch Abenteuer-Roman-Autoren einiges an nützlichem Wissen bietet, dem durchschnittlichen zweckorientierten Blogger allerding weniger.

5. Und in eigener Sache Inhalt

Zwei Dinge erscheinen mir in diesem Zusammenhang unbedingt erwähnenwert.

Zum einen orientieren sich -leider- auch immer mehr renommierte Zeitungen (ich lese Zeit-Online, da fällt es besonders unangenehm auf) an dieser Art, vorgeblich lebendige Texte zu schreiben.

Hier einmal ein aktuelles Beispiel:

Als Angela Merkel am Freitagmorgen auf der Regierungsbank im Bundestag sitzt und der Abstimmung über das Euro-Rettungspaket folgt, macht sie einen ziemlich erledigten Eindruck. Die Kanzlerin hat eine harte Zeit hinter sich, seit vor zwei Wochen zuerst der Euro bedrohlich wankte und Schwarz-Gelb seine Mehrheit im Bundesrat verlor.

Liebe Zeit-Autoren, zum Himmeldonnerwetternochmal, wenn ich über Frau Merkels Versagen lesen will, habe ich auf solche Sätze genausoviel Lust wie eine Kuh auf’s Schlittschuhlaufen. Nämlich gar keine. Welche Informationen steckt denn in dem Satz oben? Fast keine.

Alle reißerischen Schlagworte („ziemlich erledigten“, „harte Zeit“, „bedrohlich wankte“) könnt ihr euch sparen. Euer Blatt wird nicht von Bild-Lesern konsumiert, sondern von intellektuell begabteren und anspruchsvollen Lesern. Die nackte Information im Satz oben lässt sich reduzieren auf „Schwarz-Gelb verlor die Mehrheit im Bundesrat“. Und das ist schon seit Wochen alter Schnee.

Meine Frage: Warum macht ihr sowas?!?!?

Und zum anderen: Herr Schneider, nachdem immer weniger Menschen bereit sind, sich überhaupt geistig zu engagieren, ist doch selbst das nicht lebendig oder potentiell weniger Interessante Geschriebene in den Blogs und Facebooks und Twittern dieses Planeten ein sehr positives Zeichen. Warum versuchen Sie denn auf Teufel-Komm-Raus, das schlecht zu machen, oder Menschen durch Aussagen in Ihrem Interview von vorneherein zu entmutigen?

Wie soll denn das jemals etwas werden mit freier Meinungsäußerung, wenn immer weniger Menschen überhaupt lernen, mit den Werkzeugen umzugehen?

Jetzt hab ich fertig.

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