Kernkraft – Fundiertes in Kürze

Inhaltsverzeichnis

 

1. Vorwort Inhalt

Nachdem die Zeit gestern mit einem möglicherweise aufgezwungenen und gekauften Pseudointerview für den Strom aus der Kernenergie zu argumentieren versucht, möchte ich dies zum Anlaß nehmen eine Argumente-Sammlung mit -wo möglich- wissenschaftlichen Belegen und Zahlen aufzustellen.

2. Zeit-Artikel „Deutschland sollte weitere Atomkraftwerke bauen“ Inhalt

Der erste Teil widmet sich jedoch dem Interview, das ich persönlich für eine bodenlose Frechheit und eine an sachlicher Basis vollkommen vorbeigeschriebene Abhandlung halte. Glücklicherweise kann der Text dazu dienen, die Benutzung Kernkraft weiter zu entkräften.

Leider darf ich wohl ganze Absätze nicht zitieren, ohne Obula an die ZEIT ONLINE GmbH zu entrichten, ich beschränke mich auf das Nötigste. Auch sollte man beachten, dass das Interview eventuell auf Englisch geführt wurde und die Übersetzung vielleicht das Gesprochene nicht akkurat wiedergibt.

2.1 Seite 1 Inhalt

Doch nun hat die schwarz-gelbe Koalition richtig entschieden, die deutschen Atomkraftwerke länger laufen zu lassen.

Gerne, Herr Moore. Nach welchen Kriterien und Maßstäben denn? Bitte ergänzen Sie in Ihrem Artikel „meiner Meinung nach“ und stellen die Aussage damit in Relation. Sie ist keinesfalls allgemeingültig.

Die Atomkraftwerke abschalten zu wollen, ist nicht nur unverantwortlich, wenn man sich die Energieversorgung anschaut. Auch was die Senkung der Kohlenstoffdioxidemissionen angeht, ist es falsch.

Worauf Sie hier hinauswollen, ist mir schleierhaft; die Aussage ist so allgemein formuliert, daß geübte Leser sie nur als gezielte Irreführung verstehen können. Lassen Sie mich daher annehmen, Sie meinen den Primärenergieverbrauch. Die AG Energiebilanzen e.V. listet seit 1997 verschiedene Größen, unter anderem eben den Primärenergieverbrauch in Deutschland, chronologisch auf. Ich hoffe, ich darf die folgende Tabelle zitieren:

Primärenergieverbrauch (PEV) Deutschlands, in Petajoule (PJ)
Jahr 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009
Verbrauch 14614 14521 14323 14401 14679 14427 14460 14656 14465 14756 13993 14062 13341
% von 1997 100 99,4 98,0 98,5 100,4 98,7 98,9 100,3 99,0 101,0 95,8 96,2 91,3

Stand: 09.03.2010, aus AGEBAuswertungstabellen zur Energiebilanz, 2009 vorläufige Daten

Unschwer zu erkennen ist, dass der Energieverbrauch gegenüber 1997 im Jahre 2010 um fast 10% zurückgegangen ist, wir können als belegte Aussage diesen Rückgang der Energieerzeugung und damit in gewisser Weise, bei angenommenen konstanten Verlustleistungen und konstanten Im-/Exporten von Sekundärenergie=Strom, des Energieverbrauchs in Deutschland insgesamt festhalten. Später werde ich das weiter verwenden.

Deutschland hat bereits Milliarden für Wind- und Solarkraft verschwendet. Gelohnt hat es sich kaum.

Das bringt mich zum kotzen. Was heißt denn hier „verschwendet“?! Angaben zu den Investitionskosten konnte ich keine belastbaren finden, wir haben die Milliarden aber zunächst einmal „ausgegeben“, bitte.  Ein Teil floß sicher in Pilotprojekte, ein anderer in die Forschung, ein dritter in die Aufklärung und wohl ein vierter in Lobbyarbeit. Und was heißt gelohnt hat es sich kaum? Laut dem Energiemix-Diagramm von 2009:

PJ
Öl
Gas Stein Braun Kern
Tausch
Ern.En.
2009
13341
34,7
21,8
11,0
11,3
11,0
1,3
8,9
2008 14062 34,6 22,8 13,2 11,1 11,5 -0,5 7,3
2007 13842 33,8 22,7 14,1 11,7 11,1 -0,5 6,6

Stand: 09.03.10, Datenquelle: AGEB; 2009: vorläufige Daten;
Ern.En. = Anteil aller EE am PEV = Summe (Wind + Wasser + SoEE)

haben die erneuerbaren Energien einen steigenden Anteil am Primärenergieverbrauch und damit auch oder hauptsächlich der Stromerzeugung. Da bei der Stromerzeugung  mittels Wind-, Wasser- und Solarenergie kein Heizwert eines Brennstoffes zur Verfügung steht, mußte eine geeignete Methode zur Berechnung der Effizienz gefunden werden: Sie lautet einfach „100%“. Eine Windkraftanlage wandelt auf dem Papier somit immer 100% (wohl der maximal möglichen Leistung) in Strom um. Im Vergleich mit anderen Kraftwerkstypen, bei denen der reale Wirkungsgrad in die Berechnung einfließt, sind die EE damit in Statistiken benachteiligt.

Ganz zu schweigen von dem Wissenzuwachs, den der Standort Deutschland durch die Forschung im Bereich der EE erfahren hat, Herr Moore. Verschwendet wurde hier wenig.

Deswegen braucht man für jede Wind- oder Solarfarm ein Gaskraftwerk, um sicherzustellen, dass auch dann Elektrizität produziert wird, wenn der Wind mal nicht weht und die Sonne nicht scheint.

Das leuchtet ein: Scheint die Sonne nicht, gibt’s keinen Solarstrom. Wir müssen deswegen Strom entweder speichern oder anders erzeugen. Aber warum ein russisch befülltes Gaskraftwerk? Ich wäre eher für eines mit Biogasen, Kühe kacken 24/7, damit geht uns der Saft nicht so schnell aus. Spaß beiseite. Biomassekraftwerke haben den weitaus größten Anteil an der Stromerzeugung und sind zu gewissen Teilen sonnenunabhängig [BMWi – Energie in Deutschland (PDF), S17].  Gezeiten- und Wasserkraftwerke haben das Problem nicht. Pumpspeicherkraftwerke könnten Energie zwischenlagern in geeigneten Regionen, Pressluftspeicher werden gerade erforscht und Thermochemische Speicher (Wärme) befinden sich in der Pilotierung.

In Spanien sieht das anders aus. Hier geht die Wirtschaft an den erneuerbaren Energien zugrunde. Deswegen hat man sich entschlossen, die Investitionen zu senken.

Was für eine Stümperei: Belegen Sie sich bitte mit Zahlen. Wer hat sich wann und wo entschieden die Investitionen zu senken? Zufällig war ich gerade in Spanien, Barcelona. Ich kann Ihnen sagen, dass es nicht die EE sind, an denen die spanische Wirtschaft zugrunde geht, sondern 18% Mehrwertsteuer.

Es gibt keinen Grund dafür, dass etwa Organisationen wie Greenpeace fordern, alle Atomkraftwerke abzuschalten.

Oh, falsch. Es gibt eine Reihe Contra-Gründe. Dazu unten mehr.

2.2 Seite 2 Inhalt

Climax erreichen Buch und Film meist gegen Ende, dieses Interview bildet eine Ausnahme. Die unteren beiden Antworten von Herrn Moore sind meiner Meinung nach an Ignoranz und Unverschämtheit nicht mehr zu überbieten. Leicht fällt es, ihn argumentativ zu widerlegen:

Der Reaktor war von vornherein fehlerhaft konzipiert.

Die Unfallberichte sprechen von einer Verkettung von Fehlbedienungen und widrigen Voraussetzungen, und im Wesentlichen von menschlichem Versagen; siehe Ursachen im Wikipedia-Artikel. Herr Moore, können Sie persönlich für jeden Reaktorfahrer garantieren? Wie sehen Schulungsprogramme für Notfälle, Störfälle oder sonstige ungewöhnlichen Ereignisse aus? Und dass selbst in unseren Reaktoren Feuer ausbrechen, sollte auch Ihnen inzwischen bekannt sein.

Der Unfall 1986 spiegelt alle negativen Seiten des kommunistischen Systems wider: Mangelnde Sorge um menschliches Leben, schlechte Sicherheitsmaßnahmen, falsche Entscheidungshierarchien.

Wie gut, dass wir Vor- und Nachzüge der russischen Regierungsform den Historikern oder Politologen überlassen. Als Wissenschaftler konzentrieren wir uns am besten auf unser Kerngebiet.

Kaum jemand erwähnt die 75 Arbeiter, die bei dem Unfall vergangenes Jahr im größten Wasserkraftwerk Russlands starben. Jedes Jahr sterben an die 5000 Menschen in Kohlebergwerken und unter Tage. Niemand ist in der jüngsten Vergangenheit in der Atomindustrie gestorben.

Kaum jemand erwähnt die 100000de, die dank des Unfalls in Чорно́бильська umkamen oder noch heute gesundheitliche Folgen davontragen. Aber zur Sicherheit der Kraftwerke unten mehr. Und wieviele Menschen kommen eigentlich in Uranminen um, wenn ich fragen darf? Oder sterben an den Folgen ihrer Arbeit in den Minen?

Zunächst einmal ist es irreführend Kernbrennstoffe als Müll zu bezeichnen.

Niemand bezeichnet Kernbrennstoffe als Müll. Ausgebrannte Brennstäbe hingegen, die zwar Uran, aber nur noch wenig spaltbares Material enthalten, und die damit nicht mehr in aktuellen Reaktoren verwendet werden können, werden korrekt als Müll bezeichnet. Verbrennen können wir sie nicht, also müssen wir sie lagern. Übrigens bei 95% U238 im abgebrannten Brennstab nur knappe 4,5 Milliarden Jahre.

Derzeit werden sie bereits sicher gelagert in starken Containern. Der Beleg dafür ist, dass niemand darunter leidet.

Sicher gelagert? Wo denn? In Salzstöcken? Die nächsten Millionen Jahre? Und daß niemand drunter leidet, halte ich a) für Heuchelei und b) ist es wirklich kein Beleg für eine sichere Lagerung. Dass z.B. Gorleben das nächste Jahrtausend übersteht, stelle ich infrage. Widerlegen Sie mich.

Der sogenannte Atommüll ist eines unserer wichtigsten Energieressourcen der Zukunft.

Ah, Sie meinen das Konzept des Erbrütens von Brennstoff (Schnelle Brüter). Im Prinzip ist das richtig, theoretisch scheint es möglich zu sein, aus U238 Plutonium zu erbrüten und Versuchsanlagen dafür wurden bereits erbaut. Nur scheint praktisch gesehen noch kein Reaktor (Konversionsrate 0,7) eine solche stabile Erbrütungs-Kettenreaktion hinbekommen zu haben. Ich traue mich gar nicht, hierfür Wikipedia als Quelle zu zitieren, auch wenn sie recht gut belegt ist.

Ein weiterer Punkt ist, dass selbst die Spaltprodukte von Plutonium (z.B. Barium, Strontium, Technetium) entweder giftig oder wiederrum radioaktiv sind. Das Problem der Endlagerung ist so auch nicht gelöst.

In Frankreich werden Brennstoffe bereits wiederverwertet.

Was für ein Quatsch: Brennstoffe kann ich nicht wiederverwerten. Ich kann sie verbrennen. Und dann auch nicht wiederverwerten. Im Falle der Kernkraft kann ich ca. 10% von alten Brennstäben in Neue verarbeiten, weil eben nicht alles U235 gespaltet wurde, die anderen 90%, im wesentlichen U238… Richtig: Vergraben.

Eines Tages werden wir mit neuen Methoden das komplette Uran für die Atomkraft nutzen können, heute sind es gerade einmal ein Prozent. Wir müssen auf Recycling setzen.

Wie gesagt, wenn Sie das hinbekommen, alle Achtung.

Erneuerbare Energien wie Wind und Solarkraft werden niemals eine Alternative sein.

Siehe das Kapitel über die Endlichkeit der Rohstoffe. Es werden die einzigen Alternativen sein.

3. Deswegen keine Kernkraftwerke Inhalt

Wie versprochen knapp, prägnant und fundiert Argumente gegen die Kernkraftwerke in Deutschland, vielleicht sogar überall auf diesem Planeten.

3.1 Keine Kraftwärmekopplung (KWK) Inhalt

Keine einzige Anlage in Deutschland nutzt die Kraftwärmekopplung. Die Gesamteffizienz liegt damit mit 30%-40% weit unter denen konventioneller Kohle- und Gaskraftwerke mit 60%-90%. Ist sicher verständlich, man versuche, das einem Verbraucher zu verkaufen: „Ja, Sie heizen mit Atomwärme“. Ob es technische Bedenken gibt, weiß ich nicht.

Die Abwärme wird deswegen mit dem Kühlwasser in naheliegende Flüsse geleitet oder in großen Kühltürmen verheizt.

3.2 Endlichkeit der Rohstoffe Inhalt

Uran wird als Brennstoff in Minen abgebaut und ist endlich. Vertraut man den belegten Zahlen der Wikipedia, so errechnet sich eine ungefähre Reichweite der planetenweiten Brennstoffe zu:

1766400\,t\text{ Vorkommen} / 50572\,t\frac{\text{Gesamtfoerderung}}{\text{Jahr}}= 34{,}92 \text{Jahre} \simeq 35 \text{Jahre}

Keine Aussage ist getroffen über die Förderungsentwicklung in den nächsten Jahren. Wird mehr gefördert, sinkt natürlich die Reichweite.

3.3 Störfall Inhalt

Das Austreten radioaktiven Materials und giftiger Spaltprodukte muß wegen der Schädlichkeit für biologisches Leben unbedingt verhindert werden. Ob unsere Kraftwerke tatsächlich sicher sind, vermag ich nicht zu beurteilen. Die vorhandenen Redundanzen in Messung, Kühlung und Steuerung sollten einen hinreichend sicheren Betrieb erlauben.

Im Falle eines Falles sollte die Schnellabschaltung auch ohne externe Stromversorgung möglich sein, zur Not kann man die Kontrollstäbe von Hand in den Reaktor einfahren. Ob allerdings die Nachzerfallswärme des Kerns auch ohne elektrische Umwälzpumpen abgeführt werden kann, wage ich einmal zu bezweifeln. Eine Kernschmelze wäre womöglich die Konsequenz.

3.4 Terroristischer Angriff Inhalt

Scharfes Nachdenken würde mich zu dem Schluss bringen, dass ein vollgetankter A330 aus 10km Höhe mit kinetischer und potentieller Energie jede Atomanlage in einen großen strahlenden Krater verwandelt. Zum Glück wäre es wohl für einen potentiellen Angreifer gar nicht so einfach, die Anlage auch zu treffen, er müßte wohl direkt auf der Reaktorhalle einschlagen.

Auch wurden verschiedentlich Angriffe auf die Stromversorgung diskutiert. Halte ich für irrelevant, da die Dieselaggregate und Batterien von außen nicht zugänglich sind. Man müßte direkt im Kraftwerk seinen Angriff starten und das sollte durch andere Sicherheitsvorkehrungen verhindert werden.

3.5 Stromüberschuß in Deutschland Inhalt

Hartnäckig hält sich das Gerücht, daß wir französischen Atomstrom importieren. Ein bißchen was ist dran, tatsächlich fließt Strom aus Frankreich nach Deutschland. Im Bericht „Energie in Deutschland“ auf Seite 19 ist aber sehr gut erkennbar, dass seit Jahren schon in Deutschland mehr Strom produziert als verbraucht wird, und wir deswegen Strom-Exporteure sind.

3.6 Belastungen durch Uranabbau in jeweiligen Ländern Inhalt

Giftige Gase und strahlende Teilchen werden beim Abbau von Uran freigesetzt und schädigen die Umgebung. Zwar betrifft uns das nicht unmittelbar. Ob wir aber für eine Stunde Fernsehen einen gestorbenen kasachstanischen Minenarbeiter in Kaufnehmen wollen, wage ich zu bezweifeln.

3.7 Wiederaufbereitung Inhalt

Aus alt mach neu, so die Theorie. 10 alte Brennstäbe ergeben einen neuen, an sich nicht schlecht. Aber:

Bei der Wiederaufbereitung entweichen erhebliche Mengen des ebenfalls bei der Kernspaltung entstandenen radioaktiven Kryptons (85Kr). Sie werden über Abgasanlagen an die Umwelt abgegeben. Ebenso fallen radioaktiv kontaminierte Abwässer an, die in der Regel ebenfalls in die Umwelt geleitet werden.

Danke, aber nein danke.

3.8 Lagerung der Abfälle Inhalt

Nunja, 90% abgerannter Brennstab müssen irgendwo hin. Salzstöcke scheinen ungeeignet (Salz <-> Metallfaß, klingelts?), das Ausland weigert sich, das Inland protestiert, was tun sprach Zeus. Einsame Insel, im Meer versenken (z.B. im Marianengraben),  viele Möglichkeiten bieten sich an. Keine davon ist für 4,5 Milliarden Jahre ausgelegt.

3.9 Reingewinne für die Energiewirtschaft Inhalt

Und zu guter Letzt: Weswegen sollten bei einem Preis von ~3ct / kWh Komplett-Erzeugungskosten in einem AKW Verbraucher 18ct (wenn sie Glück haben) bezahlen? Diese Art der Ausnutzung des energetischen Monopols ist bedingungslos abzulehnen im Rahmen des Sozialstaates. Daß sich unsere Regierung von den Lobbygruppen derart beeinflussen läßt, ist ein Armuszeugnis sondersgleichen.

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